Dem Evangelium vertrauen – Aus der Kirchengeschichte lernen

Aus Ehrfurcht vor Gott Mut vor der Welt

Aus der Kirchengeschichte lernen

Martin Luther, der Reformator des 16. Jahrhunderts, konnte sehr verstörend über Gott reden: „Gott lieben? Manchmal hasse ich ihn”. „Manchmal scheint mir Christus nichts weiter als ein zorniger Richter zu sein, der mit dem Schwert in der Hand zu mir kommt”. Nachdem Martin Luther in ein Kloster eingetreten war und die Priesterweihe erhalten hatte, sollte er seine erste Messe feiern. Aber er konnte es nicht. Wie erstarrt stand er vor dem Altar und war nicht fähig, zu sprechen oder sonst etwas zu tun. Er beschrieb die Situation später so: „Bei dem Gedanken Gott zu opfern war ich gänzlich benommen und mit Schrecken erfüllt. Ich dachte bei mir selber: Mit welcher Zunge will ich solche Majestät anreden, wo ich doch weiß, dass alle Menschen selbst in der Anwesenheit von irdischen Majestäten erzittern? Wer bin ich, dass ich meine Augen oder meine Hände zu der göttlichen Majestät aufheben könnte? Engel umgeben ihn. Wenn er nickt, erzittert die Erde. Und kann ich, ein erbärmlicher kleiner Zwerg, sagen: ich möchte das, und ich bitte um jenes? Denn ich bin Staub und Asche und voller Sünde und soll mit dem lebendigen, wahren und ewigen Gott reden.”

Aber genau diese tiefe Ehrfurcht vor dem einzig wahren Gott zwang Martin Luther auch, seine Erkenntnis der unverdienten Gnade Gottes klar und deutlich auszusprechen und die Menschen aus ihrem falschen Glauben aufzuwecken. Das Evangelium bedeutete doch nicht, dass man sich mit einem frommen Leben die Anerkennung Gottes verdienen sollte, sondern, dass die Liebe und Anerkennung Gottes vollkommen unverdient durch Jesus Christus geschenkt wird. In dieser Sache konnte er nicht um der Ruhe in der Kirche willen oder aus Angst, seine Anstellung oder sogar sein Leben zu verlieren, Kompromisse machen, von denen er nicht überzeugt war. Als Luther wegen seiner Ablehnung der Ablassbriefe, durch die man sich von göttlicher Strafe freikaufen sollte, 1520 mit dem Kirchenbann bedroht wurde, da schrieb der damalige Papst Leo: „Stehe auf, Gott o Herr, ein wilder Eber ist in deinen Weinberg eingebrochen!”

Luther verbrannte diese Drohung öffentlich. Als er aber dann am 17. April 1521 vor dem Kaiser erscheinen musste, der von ihm verlangte, er solle seine Lehren zurücknehmen oder er würde für vogelfrei erklärt, so dass ihn jeder straffrei töten könnte, da zitterte er zuerst vor der menschlichen Autorität. Er konnte zuerst nur sehr leise sprechen und bat nach der Aufforderung zu widerrufen um einen Tag Bedenkzeit. Die Bedenkzeit nutzte Martin Luther zum Beten. Sein Gebet hat er aufgeschrieben. Hier ein kleiner Ausschnitt:

„Allmächtiger und ewiger Gott! Wie ist es nur ein Ding um die Welt! Wie klein und gering ist das Vertrauen der Menschen auf Gott! Wie ist das Fleisch so zart und schwach und er der Teufel so gewaltig und geschäftig durch seine Apostel und Weltweisen! …Ach Gott! Ach Gott! O Du mein Gott steh mir bei wider aller Welt Vernunft und Weisheit … Steh mir bei in dem Namen deines lieben Sohnes Jesus Christus, der mein Schutz und Schirm sein soll, ja, mein feste Burg, durch Kraft und Stärkung deines Heiligen Geistes. Herr, wo bleibest Du? Komm, komm, ich bin bereit, auch mein Leben darum zu lassen, geduldig wie ein Lämmlein. Denn gerecht ist die Sache und dein; so will ich mich auch von dir nicht absondern ewiglich… die Seele ist dein und gehört dir zu und bleibt auch bei dir ewig. Gott helfe mir, Amen”.

Als er von diesem Ringen vor Gott aufstand, da hatte er Mut gefasst und konnte am nächsten Tag vor dem Kaiser stehen. Als er ihn erneut fragte und aufforderte, er solle klar und deutlich und „ohne Hörner und Spitzen” antworten, da konnte er mit kräftiger Stimme sagen: „Es sei denn, dass ich mit Zeugnissen der Heiligen Schrift oder mit öffentlichen klaren und hellen Gründen und Ursachen überwunden werde und überzeugt, sonst kann und will ich nichts widerrufen, denn mein Gewissen ist in Gottes Wort gefangen”. Luther wusste genau, dass er Gott mehr gehorchen musste als selbst den damals mächtigsten Menschen. Er fürchtete Gott, aber seine Furcht war inzwischen gepaart mit Liebe zu Gott. Denn er kämpfte für das Evangelium: die frohe Botschaft von der Vergebung und Liebe Gottes ohne unser Zutun. Noch bevor der Kaiser über das Leben Luthers entschied, reiste der aus Worms ab. Auf seiner Reise schrieb er aus Friedberg noch einmal an den Kaiser und bestätigte, dass er in Dingen des Glaubens ganz an die Heilige Schrift gebunden ist und nur aus der Heiligen Schrift überwunden werden kann und will. Er könne sich, wenn es um das ewige Heil geht, nicht einfach menschlichen Autoritäten beugen.

Auch unsere Zeit hat hier Evangelium. Das enthält Elemente des biblischen Evangeliums, das Luther wieder betont hat und aus dem er selber lebte, aber es ist doch ein ganz anderes Evangelium.

Rechtfertigung: Der Mensch will nicht nur gerecht behandelt werden, er will auch selber gerecht sein. Sein Gewissen soll ihn rechtfertigen und ihm sagen: Es ist in Ordnung, was du tust. Aber die meisten merken, dass das allein nicht reicht, und wünschen sich auch Rechtfertigung von außen. Manche fühlen sich gerechtfertigt, wenn sie der Meinung der Mehrheit folgen. Andere brauchen stattdessen oder zusätzlich eine Instanz, meist eine Gruppe von Menschen, die irgendwie vermittelt: „Du bist in Ordnung. Du glaubst das Richtige und handelst gut.“

Gewissheit: Sicheres Wissen, mit dem man die eigene Ungewissheit vertreiben kann, soll „die Wissenschaft“ bieten. Wenn ein Wissenschaftler oder Experte etwas sagt, dann kann man sich darauf verlassen. Wer beobachtet, dass sich Wissenschaftler – was in der Natur wissenschaftlichen Arbeitens liegt – nicht einig sind oder sich korrigieren müssen, der verlegt sich auf die „überwiegende Mehrheit“ der Wissenschaft als Fundament für Gewissheit. Im Allgemeinen gelten die „neuesten Erkenntnisse“ als die richtigen und man kann ihnen „folgen“.

Hoffnung: Den meisten reicht die Hoffnung auf persönliches Glück im äußeren Wohlstand. Gegründet sich diese Hoffnung darauf, dass eine lange Zeit der ständigen Verbesserung der Lebensumstände so weitergeht. Natürlich kommen Zweifel auf, ob das eine realistische Hoffnung ist. Wird der Klimawandel bald alles zerstören oder Flüchtlingsströme uns arm machen? Brechen Seuchen aus oder kommt es zum Kollaps des Wirtschaftssystems? Die Hoffnung ist, dass es einen persönlich nicht trifft, sondern man nach einem unbeschwerten Leben schmerzlos stirbt, wenn man es selber will. Danach soll es entweder noch schöner weitergehen oder nichts mehr sein.

Das Ganze ist ein Evangelium ohne Gott, das vom Glauben an sich selbst und das Gute im Menschen lebt. Das Evangelium der Bibel ist anders. Es schildert den Zustand des Menschen realistisch als begrenzt, oft vom Bösen bestimmt, schwach und sterblich. Aber weil Gott in Christus selber Mensch wurde und mit seinem Sterben und seiner Auferstehung das Böse und den Tod besiegt hat, gibt es echte Hoffnung. Die Hoffnung speist sich aus dem Geschenk eines Lebens mit Gott im Vertrauen auf Jesus Christus. Ich darf in guten und bösen Tagen mit und für Gott leben. Der Tod wird uns nicht scheiden, sondern die Gemeinschaft mit dem barmherzigen und gerechten Gott geht ohne Schuld und Leid für immer weiter. Dessen darf ich mir gewiss sein, weil ich von Gott gerechtfertigt bin. Er hat sein Urteil über mich und mein Leben gesprochen. In seinem Gesetz hat er das Böse entlarvt und verworfen. Er hat Christus an meiner Stelle sterben lassen und sein Opfer als gerechtmachend bestätigt, als er ihn auferweckte. Ich darf jetzt sagen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt und begraben in seinen Tod. Nun lebe ich nicht mehr für mich, sondern Christus lebt in mir und ich für ihn. Er ist mein Leben und ich will ihn mit jedem Wort und jeder Tag ehren.“ (Gal 2,19-20; Kol 2,12; Röm 6,3-5; Phil 1,20-21). Die Gewissheit darüber habe ich erstens, weil Gott in der Geschichte der Welt sichtbar gehandelt hat, zweitens weil es durch die Offenbarung seines Wortes in der Bibel zuverlässig verkündet und drittens, weil sein Heiliger Geist mich im Glauben an Christus bindet und so Gewissheit schenkt. Was ist das für eine Freude, wenn Gott mit uns zufrieden ist! Was ist das für eine Gewissheit, wenn er es uns klar und auch persönlich zusagt! Die Bibel sagt, dass das möglich ist, wenn wir der Vergebung Gottes glauben, die er durch Jesus Christus anbietet. Darum bittet uns Gott: „Sei nicht mit dir zufrieden, sondern versöhne dich mit mir.” Martin Luther hat vor 500 Jahren aus Gottesfurcht und Gottesliebe sein Leben riskiert, damit diese Botschaft wieder gehört wird.

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