Das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft ist nicht ohne Spannungen. Zunächst ist zu klären, aus welchen Quellen beide ihre Informationen beziehen und dann ist zu klären, in welchem Verhältnis beide zueinander stehen. Schließlich soll es um die Frage gehen, wie der Christ mit der Wissenschaft und deren Ergebnissen umgeht.
- Die Quellen
Die heilige Schrift sagt: „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi“ (Röm 10,17). Christus hat dementsprechend den Aposteln und damit der Kirche geboten, das Evangelium zu predigen. Natürlich ist die Predigt selbst nicht der Ort der Offenbarung, sondern von Gott offenbart ist das Wort von Christus, das heißt, die heilige Schrift. Von ihr heißt es: „… alle Schrift ist von Gott eingegeben“ (2Tim 3,16) und vom prophetischen Wort: „… getragen von dem Heiligen Geist haben heilige Menschen von Gott (her) geredet“ (2Petr 1,21). Die heilige Schrift hat aufgrund dieses Sachverhalts, den man in der Theologie Inspiration oder Theopneustie nennt, die Qualität, Gottes eigenes Wort zu sein. Aus dieser Quelle kommt der Glaube; der Glaube ist eine Frucht des biblischen Wortes und besteht darin, daß der Mensch das Wort hört, versteht und darauf vertraut.
Paulus stellt ferner klar: „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben: »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt (törichte Predigt, BK) selig zu machen, die daran glauben“ (1Kor 2,18-21). Aus diesen Worten spricht ein nicht geringer Gegensatz zwischen der Weisheit Gottes und dem, was der Mensch von sich aus zu wissen vermag.
Ansatzpunkt der Wissenschaft ist das menschliche Erkenntnisvermögen. Wir müssen das letztere würdigen als ein solches, das von dem Schöpfer dem Menschen mitgegeben ist. Zwei Stämme gehören zum menschlichen Erkenntnisvermögen: die sinnliche Wahrnehmung, Empirie genannt, also die Fähigkeit des Menschen zu sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken; dazu hat der Mensch im Normalfall seine fünf Sinnesorgane. Zum anderen hat der Mensch seine Vernunft, sein Denkvermögen, und dieses funktioniert nach bestimmten Denkgesetzen. Das grundlegende Denkgesetz ist der Satz vom Widerspruch und lautet: A ist nicht Nicht-A; also ein Mensch ist nicht ein Tier, ein Elefant ist keine Maus, Liebe ist nicht gleich Haß. Daran zeigt sich: Wir denken in Antithesen, wir unterscheiden, wie erkennen Gegensätze. Darauf aufbauend lassen sich weitere Denkgesetze erkennen, so etwa den Identitätssatz: A ist gleich A; zum Beispiel: zwei Pferde stehen auf der Weide, Pferd 1 ist kein Pony und Pferd 2 ist kein Esel; beides sind Pferde, und darin sind sie einander gleich. Sie können sich freilich unterscheiden, indem Pferd 1 ein Rappen ist und Pferd 2 ein Schimmel, aber in ihrer Eigenschaft als Pferde sind sie gleich. Ferner ist der Satz vom ausgeschlossenen Dritten zu nennen: Wenn A gleich A ist, dann kann es nicht gleichzeitig gleich B sein; ein Drittes – eine dritte Möglichkeit – gibt es nicht. Also: Pferd 2 ist entweder ein Rappen und gleicht Pferd 1, oder es ist ein Schimmel und kann dann nicht Pferd 1 sein. Beides kann von Pferd 2 nicht gleichzeitig gelten. Schließlich ist noch der Satz vom zureichenden Grund zu nennen: Aus der Einsicht, daß nichts in dieser Welt „einfach so“ da ist, sondern einen Existenzgrund hat, folgern wir, daß es einen zureichenden Grund für die Existenz eines Dinges geben muß. Will sagen: Jede Wirkung hat eine Ursache. Nach diesen Denkgesetzen funktioniert die menschliche Logik. Mit dieser leben und denken wir und mit ihr arbeitet die Wissenschaft. Besonders wichtig ist dies in der Mathematik, die nach dem Grundsatz funktioniert, daß eins plus eins immer zwei ergibt und nicht gleichzeitig drei oder einen beliebigen Wert.
Wissenschaft hat das Ziel, neue Erkenntnisse zu gewinnen, so daß diese im Leben Anwendung finden können. Es ist offensichtlich, daß die Wissenschaft in den letzten zweihundertfünfzig Jahren einen enormen Aufschwung genommen hat. Sie hat auf unterschiedlichen Gebieten geforscht und zum Teil spektakuläre Ergebnisse gebracht: Krankheiten wurden erkannt und besiegt, Dampfmaschinen, Verbrennungs- und Elektromotoren wurden entwickelt, imposante Bauwerke hochgezogen, Raketen gebaut, Computer entwickelt, das menschliche Seelenleben erkundet, soziale Strukturen erkannt und beschrieben, und gegenwärtig wird an der Entwicklung künstlicher Intelligenz gearbeitet. Vieles von dem, was die Wissenschaft entwickelt hat, nehmen wir dankbar in Anspruch. Wissenschaft ist eine geschöpfliche Gabe Gottes. Sie baut auf dem natürlichen menschlichen Erkenntnisvermögen auf.
Es sei noch erwähnt, daß sowohl die klassischen Naturwissenschaften als auch die Sozial- und Geisteswissenschaften jeweils ihre eigenen Methoden haben, nach denen sie arbeiten und mit denen die Ergebnisse ihrer Forschung überprüfbar sind. Dementsprechend gehören Zauberei, Wunder- und Aberglaube nicht zum Wissenschaftsbetrieb. Wissenschaft funktioniert im übrigen auch ohne den Glauben an Gott.
- Gott und die Wissenschaft
In der frühen Neuzeit war der Glaube an einen Schöpfer, der die Welt nach vernünftigen und erkennbaren Regeln geschaffen hat, ein starkes Motiv, die Welt zu erforschen. Die Wissenschaftler gingen damals davon aus, daß Gott der Schöpfung Gesetze eingestiftet habe, nach denen sie funktioniert, die sogenannten Naturgesetze, und diese wollten sie erkennen. Auch war es ihr Ziel, über den erkannten Naturgesetzen den Schöpfer zu loben, der alles weise geordnet hat. Das Lied von Chr. F. Gellert „Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht“ spiegelt dieses Denken wider. Diese Art von Wissenschaft ist vollkommen legitim.
Man muß indes auch wissen, daß dann, wenn man der menschlichen Vernunft die Kompetenz zubilligt, etwas selbständig zu erkennen, die menschliche Vernunft die (sündige) Neigung hat, sich zu emanzipieren und zu glauben, man könne generell ohne den Glauben an einen Schöpfergott auskommen. Tatsächlich arbeitet die Wissenschaft nach Methoden, in denen Gott nicht notwendig ist. Sie ist in ihrem Wesen atheistisch, sofern sie die Welt erklären will unter der Voraussetzung, „als ob es Gott nicht gäbe“. Das geht so lange gut, wie die Wissenschaft sich auf die natürlichen, innerweltlichen Abläufe beschränkt. Doch spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der methodische Atheismus zu einem ontologischen. Will sagen: Die Wissenschaft gab den Glauben an die Existenz Gottes preis. Sie „glaubte“ nur noch das, was sie sehen konnte, was zählbar, meßbar, wägbar und berechenbar war. Man rechnete nicht damit, daß Gott existiert, und damit war der Glaube an Schöpfung, an das Eingreifens Gottes in die Abläufe der Welt und an Wunder definitiv überholt.
Zudem lieferte Ch. Darwin, ein gescheiterter Theologe, der dann Naturforscher wurde, mit seinem weltbekannten Buch „Über die Entstehung der Arten“ aus dem Jahre 1859 eine Erklärung für die Existenz der belebten Natur, die an die Stelle des Schöpfergottes die jahrmillionenlange Entwicklung setzte. Die Evolutionstheorie wurde und wird bis heute als wissenschaftliche Erklärung der Welt und des Lebens angesehen. Lange Zeiträume plus zufällige Mutationen plus Kampf ums Dasein plus natürliche Selektion werden vorausgesetzt, obwohl es unmöglich ist, die stete Höherentwicklung von unbelebter Materie bis hin zum Menschen empirisch zu beweisen. Insbesondere ist es ein Problem, wie durch Mutationen ganz neue Organe oder Gattungen entstehen können. Mutationen gibt es, doch diese bewegen sich im Rahmen kleiner Veränderungen im Rahmen eines bestehenden Grundtyps.
Trotz aller Diesseitigkeit berührt die Wissenschaft Fragen, die in den Bereich der Weltanschauung weisen und nicht mit den Mitteln der Wissenschaft beantwortet werden können. Die Wissenschaft kann immer nur von dem ausgehen, was da ist, aber kann nicht hinter dieses zurück. Mit anderen Worten, sie kann nicht erklären, warum etwas da ist. Der moderne Naturalismus möchte die Existenz der Welt erklären ohne Gott, allein anhand der Gesetze, nach denen die Welt existiert. Weil diese aber nicht ausreichen, postuliert er einen Urknall, aus dem heraus sich alles entwickelt haben soll. Andere postulieren, daß die Materie selbst ewig sei und sich von daher alles entwickelt habe und nach wie vor in der Entwicklung begriffen sei. Doch sowohl die Unendlichkeit der Materie als auch der Urknall sind unbewiesene Mythen. Nicht zuletzt ist man dann gezwungen, der Materie oder ganz allgemein dem Universum Kreativität zuzuschreiben, weil man die Tatsache nicht leugnen kann, daß in der Natur Schönheit und Funktionalität, sowie Plan und Design vorzufinden sind. Nur der Schluß auf einen Schöpfer, auf Gott oder eine geistige Dimension, ist namens einer atheistischen Wissenschaft verboten. Ein Wissenschaftler, der für die Existenz der Welt einen Gott postuliert, der alles geschaffen hat, hat seinen Ruf als Wissenschaftler verspielt. Er wird fortan von der sogenannten scientific community nicht mehr ernstgenommen.
Wir müssen an diesem Punkt feststellen, daß die Wissenschaft die Existenz der Welt nicht erklären kann. Will sie es trotzdem tun, dann verhebt sie sich und überschreitet ihre Grenzen, wie die letztlich unbefriedigenden Postulate zeigen.
- Der Christ und die Wissenschaft
Der Christ kann aufgrund der Tatsache, daß die Welt von Gott geschaffen ist und die Welt auf den Schöpfer weist (Ps 19,2; Röm 1,19-20), problemlos Wissenschaft betreiben und ihre Ergebnisse aufnehmen, sofern diese sich auf die Beschreibung der vorfindlichen Welt beschränken. Gott selbst ist ja der Garant der Naturgesetze. Der Christ wird jedoch nicht annehmen können, was die Wissenschaft zur Interpretation der gewonnen Erkenntnisse sagt, sofern diese Interpretation der heiligen Schrift widerspricht. Wenn die Wissenschaft aufgrund von Ähnlichkeit – etwa von Affe und Mensch – vermutet, daß eine auf Abstammung beruhende Verwandtschaft vorliege, dann müssen kritische Rückfragen erlaubt sein. Interpretationen im Rahmen einer evolutionsbiologischen Anschauung lassen sich nur schwer beweisen, denn es geht ja um Entwicklungen und Ereignisse, die evolutionstheoretisch in längst vergangenen Zeiten stattgefunden haben. Der Christ weiß aufgrund der speziellen Offenbarung Gottes, der heiligen Schrift, daß Gott am Anfang die Welt geschaffen hat und daß diese sich nicht aus unbelebter Materie zu den heutigen Lebensformen entwickelt hat. Eine solche Aufwärtsentwicklung widerspricht den bekannten Gesetzen der Physik und der Chemie. Zur Kritik an der Evolutionstheorie hat die Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V. eine beachtliche Reihe von Büchern und Publikationen hervorgebracht.
Eine ganz andere Frage ist die, ob die Theologie eine Wissenschaft ist oder überhaupt sein kann. Sie muß ja von Gott reden, aber von ihm gibt es keine Anschauung. Der Biologe und der Mediziner können das Pferd untersuchen und beschreiben, aber der Theologe kann Gott nicht in gleicher Weise untersuchen und beschreiben. Immerhin hat die Theologie die heilige Schrift. Hinzu kommt, daß die Bibel von geschichtlichen Ereignissen spricht und insbesondere vom Erscheinen Gottes im Fleisch, also von Jesus Christus, der als Sohn Gottes hier in der Welt erschienen ist. Damit hat die Theologie einen Gegenstand, von dem sie reden kann, und es liegt auf der Hand, daß ihr eigentlicher Inhalt Jesus Christus ist und sein muß.
Da die heilige Schrift etwa zweitausend Jahre alt ist und das Alte Testament in den von Mose verfaßten Teilen nochmals etwa eintausendfünfhundert Jahre älter ist, stellt sich die Frage, ob man sie mit historischen Methoden bearbeiten kann. In jedem Fall wird man nicht eine vorgefertigte Maßgabe von dem, was als historisch gelten kann, an die Bibel herantragen können, sondern die Bibel selbst muß sagen, was als geschichtlich zu gelten hat.
Die moderne Theologie hat sich damit nicht zufrieden gegeben, sondern das, was die Bibel sagt, wo immer es ging kritisch hinterfragt. Sie hat das getan unter der Prämisse, daß das wissenschaftliche Weltbild wahr sei und daß die menschliche Vernunft in der Lage sei, das, was in der Bibel religiöse Anschauung sei, von dem zu unterscheiden, was Wirklichkeit sei. Ein Heer von Theologen hat dazu die unterschiedlichsten Ansätze verfolgt, die aber in der Regel dahin geführt haben, daß die Bibel selbst nicht als Gottes Wort verstanden wurde und in unterschiedliche Richtungen umgedeutet wurde.
Schließlich erhebt sich die Frage, ob man mittels der heiligen Schrift und in der Person Jesu wirklich Gott erkennen könne. Hier gerät die Theologie an ihre Grenze, denn sie kann den unsichtbaren Gott nicht vorführen, wie er in Jesus Fleisch wurde, noch wie der durch den Heiligen Geist die heilige Schrift hervorgebracht hat. Die Theologie kann hier nur akzeptieren, was die Schrift von sich selber sagt. Das aber heißt auch, daß das, was die Bibel sagt, nicht eigentlich mit den Mitteln der Wissenschaft bewiesen werden kann, einerseits, weil man Gottes Handeln hinsichtlich seiner Ursachen nicht mit den Mitteln der Wissenschaft erfassen kann, und andererseits, weil geschichtliche Ereignisse, wie sie die Bibel berichtet, definitiv in der Vergangenheit liegen. Zweifellos ist es möglich, auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Beobachtung zu zeigen, daß der Schluß auf einen Schöpfer plausibel ist. Man kann mit den Mitteln der historischen Wissenschaft zeigen, daß manche der biblischen Berichte wahrscheinlich sind. Doch darauf kann sich der Glaube nicht gründen, denn diese Argumentationen stünden im Bereich menschlicher Weisheit und erfordern keinen Glauben. Sie mögen einem zeigen, daß der Glaube an Christus nicht absurd ist. Aber der Glaube selbst braucht einen gewisseren Grund, nämlich den des Wortes Gottes selbst, denn nur diesem eignet die Kraft Gottes zum Heil, dem der daran glaubt (Röm 1,16).